Rechtsanwalt Paul Degott

Rechtsanwalt Paul Degott, Schwerpunkt, Fluggastrechte, Reiserecht

D-30159 Hannover, Karmarschstraße 40
Telefon: +49 - 511 - 43 76 09 39
Telefon: +49 - 511 - 43 76 09 37


in Kooperation mit:

RA Prof. Dr. Ronald Schmid, Frankfurt am Main
Vors. Richter am OLG a.D. Jürgen Maruhn, Frankfurt am Main

Überörtliche Kooperation selbständiger Rechtsanwälte, die als ausgewiesene Experten täglich mit allen Rechtsfragen aus dem Bereich Touristik befasst sind - ob mit der Durchsetzung von Fluggastrechten, mit der Rückforderung von Reiseveranstalter-Stornopauschalen oder mit den wechselnden Themen des Pauschalreiserechts, auch nach der Neufassung des Pauschalreiserechts ab 01.07.2018.

Storno Reise-Erstattung hier geht es zum Fluggastrechte- Kommentar

Reiserücktrittskostenversicherung- Versicherungsschutz mit Hindernissen

Bei Nichtantritt der Pauschalreise erstattet der Versicherer bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme die vertraglich geschuldeten Stornokosten aus dem versicherten Reisevertrag (Nr. 1 VB Reiserücktritt). Regelmäßig wird diese Versicherung schon bei der Reisebuchung - sei es im vermittelnden Reisebüro oder per Mouseclick bei einer Onlinebuchung - gleich mitgebucht. Voraussetzung für eine Inanspruchnahme dieser Versicherung ist, dass die versicherte Pauschalreise nicht angetreten wird. Ein Reiseantritt liegt vor, wenn eine der gebuchten Reiseleistungen ganz oder teilweise in Anspruch genommen wurde. Maßgeblich ist die erstmalige Inanspruchnahme der versicherten Leistung. Die Pauschalreise besteht aus zeitlich und örtlich aufeinanderfolgenden Reiseabschnitten. Daher ist eine Reise mit der Inanspruchnahme des ersten Abschnitts insgesamt angetreten, bei Flugreisen z.B. mit dem Beginn des Einscheckens des Gepäcks oder im Moment des Vorabend-Check-in. Voraussetzung für die Ersatzpflicht des Versicherers ist das Eintreten eines versicherten Ereignisses bei dem Reisenden oder einer mitversicherten Risikoperson. Als Risikopersonen sind zu nennen die Angehörigen der versicherten Person, auch der Lebenspartner. Erforderlich ist sodann die Unzumutbarkeit der planmäßigen Durchführung der Reise, weil die versicherte Person selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes von einem versicherten Ereignis betroffen wird. Anzulegen ist hier ein objektiver Maßstab. Für die Unzumutbarkeit der Reise ist der Versicherte darlegungs- und beweispflichtig. Dies betrifft auch die Kausalität zwischen dem versicherten Ereignis und der Unzumutbarkeit zur Durchführung der Reise. Im Versicherungsfall ergeben sich jedoch hierzu regelmäßig konkrete Anwendungsschwierigkeiten.

Nachweispflicht, ob Stornokosten vertraglich geschuldet sind

Der Versicherungsnehmer hat im Schadensfall nicht nur das versicherte Ereignis, die Unzumutbarkeit der Reise und die Kausalität zwischen Ereignis und Stornierungsentscheidung zu beweisen. Lehnt die Versicherung eine Kostenübernahme ab und wird sie deshalb auf Zahlung verklagt, muss der Versicherungsnehmer nun darlegen und beweisen, ob im Verhältnis des Versicherungsnehmers zum Reiseveranstalter vertraglich Stornokosten überhaupt geschuldet sind und ob die vom Reiseveranstalter berechnete Höhe nach Maßgabe von § 651h BGB rechtlich bestandskräftig ist. Denn der Reisevertrag über die versicherte touristische Leistung und darin enthaltene Vereinbarungen zur Berechnung von Stornokosten bei Nichtantritt der Reise, regelmäßig über Reise-AGB, sind rechtliche Vorfragen zur Eintrittspflicht des Versicherers. Die Klärung dieser Vorfragen obliegt der versicherten Person als Vertragspartner des Reisevertrages (LG Landau in der Pfalz, Beschluss vom 11.05.2015, 1 S 25/15; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.09.2015, 2-08 O 106/14; AG Köln, Urteil vom 08.09.2015, 147 C 117/15). Es reicht nicht, schlicht die Stornorechnung des Reiseveranstalters an die Versicherung durchzureichen und zu behaupten, die dort berechneten Stornokosten seien reisevertraglich geschuldet. Denn der Versicherer hat keine Kosten zu erstatten, zu deren Zahlung der reisende Versicherungsnehmer rechtlich nicht verpflichtet ist. Somit ist die vertragliche Vereinbarung über die Pflicht zur Zahlung von Stornokosten zwischen Reisendem und Reiseveranstalter nachzuweisen, auch, ob Reise-AGB des Reiseveranstalters überhaupt in den Reisevertrag einbezogen worden sind. Und selbst wenn Stornokosten tatsächlich vom Reiseveranstalter gefordert sein sollten, hat im Verhältnis zum Versicherer der Reisende nun nachzuweisen, ob diese Stornokosten gem. § 651h BGB überhaupt gefordert werden dürfen. Insbesondere sind ersparte Aufwendungen des Reiseveranstalters zu berücksichtigen. Der Versicherer ist nur im Rahmen der rechtlich zulässigen Stornogebühren einstandspflichtig (KG Berlin, VersR 1999, 661). Somit wird dem Versicherten auferlegt, gegebenenfalls eine gerichtliche Entscheidung gegen den Reiseveranstalter herbeizuführen (LG Landau in der Pfalz, LG Frankfurt am Main, AG Köln, jeweils aaO; KG Berlin, Urteil vom 14.07.1998, 6 U 5992/96).

Somit ist Voraussetzung dafür, den Reiserücktrittskostenversicherer überhaupt in eine Zahlungspflicht zu bringen, dass der Reisende/Versicherungsnehmer nachweist oder anderweitig gerichtlich klären lässt, ob der Reiseveranstalter überhaupt berechtigt war, ihm in der gegenständlichen Höhe eine Stornorechnung zu schicken und den dort ausgewiesenen Betrag gegen den schon gezahlten Reisepreis aufzurechnen. Sogar wenn dies gelingt, ergeben sich weitere Hürden zur Inanspruchnahme der Versicherung.

Nachweispflicht, ob Eintritt des versicherten Ereignisses - am Beispiel der unerwartet schweren Erkrankung

In der Reiserücktrittskostenversicherung versicherte Ereignisse sind neben Tod, schwerem Unfall des Reisenden oder einer mitversicherten Risikoperson, Impfunverträglichkeit, Elementarereignisse mit Eigentumsschäden des Versicherten, auch unerwarteter Verlust des Arbeitsplatzes. Die meisten Reisen werden jedoch wegen einer Erkrankung storniert. Krankheit ist ein "anormaler körperlicher oder geistiger Zustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher und geistiger Funktionen mit sich bringt" (BGH, NJW 2005, 3783). Versichert ist nur die unerwartet schwere Erkrankung. Ob die Erkrankung schwer ist, beurteilt sich danach, ob sie einen solchen Grad erreicht, dass der Antritt der Reise objektiv nicht zumutbar ist. Der meiste Streit entsteht über die Frage, ob eine solche Krankheit "unerwartet" gewesen ist. Der Versicherungsschutz ist nämlich ausgeschlossen bei Vorhersehbarkeit der Erkrankung. Vorhersehbar ist der Versicherungsfall bei einer schweren Erkrankung, wenn diese zur Zeit der Reisebuchung bestand und die darauf beruhenden Beschwerden in Erscheinung getreten waren.

Was dies im konkreten Einzelfall zu bedeuten hat, definieren die Versicherungsbedingungen jedoch nicht. Dies hat das AG Balingen, Urteil vom 16.08.2016, 3 C 546/15, zu folgender Entscheidung veranlasst: Der Anspruch auf Erstattung der Stornokosten sei nicht gemäß der Allgemeinen Versicherungsbedingungen/Reiserücktrittskostenversicherung ausgeschlossen, weil der Anspruch auf den Fall einer unerwarteten Erkrankung beschränkt wäre. Es könne dahinstehen, ob die Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf eine chronische Krankheit einer mitversicherten Risikoperson zurückzuführen sei. Denn die Klausel der Versicherungsbedingungen sei unwirksam, da sie gegen das AGB-rechtliche Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstößt. Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei gebietet es Treu und Glauben, dass die Bedingungen die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Wird der Versicherungsschutz durch eine Bedingungsklausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang der Versicherungsschutz trotz der Klausel noch besteht. Das Transparenzgebot verlangt, dass die Klausel dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen führt, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Erkrankungen einen Ausschluss herbeiführen (BGH, Urteil vom 10.12.2014, IV ZR 289/13). Dem entspricht die Klausel, wonach die Versicherungsleistung auf "unerwartete" Krankheiten beschränkt sein soll, nicht. Sofern hiervon Krankheiten betroffen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bestanden und nachträglich auftreten, ist dies zwar noch nachvollziehbar. Problematisch ist jedoch das Merkmal in Bezug auf bereits bei Vertragsschluss vorhandene und bekannte Krankheiten, wenn diese sich später plötzlich erheblich verschlechtern. Hier ist zu beurteilen, ob mit der Verschlechterung gerechnet werden konnte oder nicht. Hierfür gibt die Klausel keine Kriterien vor. Die Beurteilung, womit objektiv gerechnet werden kann, ist dem Versicherungsnehmer damit nicht möglich. Sofern auf den Grad der Wahrscheinlichkeit abgestellt würde, ergäben sich hierdurch ebenfalls keine klaren Kriterien, da wiederum der Grad der Wahrscheinlichkeit sowie die hierfür angesetzten Faktoren einer Beurteilung bedürfen. Mangels Vorgabe objektiver Bewertungskriterien in den Versicherungsbedingungen ist die Einschränkung des Versicherungsschutzes auf unerwartete Krankheit unwirksam. Die Versicherung ist dort zur Leistung verurteilt worden.

Verstoß gegen Schadensminderungspflichten

Auch wenn der versicherte Fall der "unerwartet schweren Erkrankung" feststeht, ergibt sich eine weitere Unsicherheit dahingehend, ob dem Versicherungsnehmer vorgehalten werden kann, er hätte zu einem früheren Zeitraum die Rücktrittserklärung gem. § 651h BGB gegenüber dem Reiseveranstalter erklären müssen, was dann eine geringere Stornokostenpauschale eingelöst hätte, so dass sich die Zahlungspflicht der Versicherung nur auf die geringere Stornopauschale beschränken würde.

Insoweit ist jedoch auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abzustellen (BGH, Beschl. v. 21.09.2011, IV ZR 227/09; ebenso: AG Wiesbaden, Urteil vom 17.12.2013, 93 C 2924/12 (30)).

An Rücktritt vom Reisevertrag dürfte frühestens in dem Zeitpunkt gedacht werden, bei dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit und nach Ablauf einer gewissen Überlegungs- und Besinnungszeit für den Reisenden feststeht, dass er die Reise wie geplant aller Voraussicht nach nicht wird durchführen können. Zwar trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur Mitteilung des Versicherungsfalles an die Versicherung und Stornierung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter, was unverzüglich nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfolgen hat, so die Versicherungsbedingungen. Zur Beurteilung, wann eine Stornierung noch unverzüglich in diesem Sinne ist, kann auf § 121 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden, der für die Anfechtung diesen Begriff wortgleich verwendet. Diese Legaldefinition ist im Zweifel auch dann maßgeblich, wenn der Begriff in AGB oder in einem Rechtsgeschäft verwendet wird. Demnach muss die Stornierung nicht sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden, wobei dem Erklärenden eine nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessende Prüfungs- und Überlegungspflicht zuzugestehen ist. Dem Versicherungsnehmer ist auch zuzugestehen, insoweit einen entsprechenden ärztlichen Bericht abzuwarten und erst dann zu einer Rücktrittsentscheidung zu kommen (AG Hannover, Urteil vom 14.10.2013, 508 C 8318/13).